29.01.2014 | ArcelorMittal Deutschland

Energiepolitik und Re-Industrialisierung Europas neu formulieren – Lakshmi N. Mittal

ArcelorMittal ist ein weltweit tätiges Unternehmen. Wir produzieren und verkaufen Stahl in Industrie- und Schwellenländern. Trotz der harten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir das uns Mögliche zum Erhalt von Werken und Jobs in Europa getan. Leider werden der Stahlsektor und andere energieintensive Industrien von der EU-Energie- und Klimapolitik bestraft, was umfassende Auswirkungen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit hat.

Vergleichen Sie das mit den USA, wo Schiefergas und eine eher industriefreundliche Politik zu viel niedrigeren Kosten für industrielle Energieverbraucher geführt haben. Wenn wir in unseren EU-Werken die in Amerika geltenden Strompreise zahlen würden, wären unsere Kosten um mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr niedriger. Zu einer Zeit, wo die Marktnachfrage ein Viertel unter dem Niveau von 2007 liegt, ist es entscheidend, sich näher mit diesem Ungleichgewicht zu befassen.

Auf dem Spiel steht dabei mehr als die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie. Viele andere, weltweit tätige, energieintensive Industrien mit europäischen Werken befinden sich in derselben Lage. Wenn die EU nichts unternimmt, werden die Kosten weiter steigen. Dies könnte die produzierenden Industrien zerstören, die das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden.

Die europäische Stahlindustrie unterstützt Maßnahmen zur Förderung einer rentablen Entwicklung von Technologien zur Senkung von CO2-Emissionen. Wir liefern Stahl für Windräder und Solarenergieparks. Hochfester Stahl trägt dazu bei, leichtgewichtigere Autos mit geringeren Emissionen zu bauen. In vielen Fällen weist Stahl, wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Produkts betrachtet, einen niedrigeren CO2-Fußabdruck als alternative Materialien auf.

Dennoch gibt es keine realistischen Aussichten, dass erneuerbare Energien in Kürze die europäische Stahlindustrie versorgen könnten. Trotz vieler Verbesserungen sind die vorhandenen Technologien zurzeit begrenzt und machen die von der EU vorgebrachten unrealistischen Anforderungen zur Emissionssenkung sogar für die modernsten Werke unerreichbar.

Die Kommission sollte das Emissionshandelssystem ändern, so dass unsere Industrie die Möglichkeit erhält, einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu leisten.

Außerdem wird die Wende zu erneuerbaren Energien, die in vielen europäischen Ländern zurzeit durchgeführt wird, nicht in einer marktorientierten und kosteneffizienten Weise gemanagt. Dadurch verschärft sich der Wettbewerbsnachteil für Europa zusätzlich.

Zusammen mit anderen energieintensiven Industrien möchten wir, dass eine Reihe von Maßnahmen zur Wiederherstellung von Europas weltweiter Wettbewerbsfähigkeit ergriffen wird.

Der Energie- und Klimarahmenplan 2030 wird die Richtung der europäischen Energiepolitik für die nächsten 15 Jahre festlegen. Die bislang diskutierten Vorschläge beinhalten strikte Ziele zur Emissionssenkung, wodurch die Reindustrialisierung Europas blockiert würde. Diese Maßnahmen werden die Energiekosten weiter erhöhen und zu größerer Unsicherheit führen. Stattdessen sollte die Politik für neue Impulse zugunsten aller EU-Industrieländer sorgen.

Man sollte damit anfangen, sich mit den Mängeln im Emissionshandelssystem (ETS) zu befasst, das handelbare Emissionsrechte zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen eingeführt hat. In seiner gegenwärtigen Form verstößt das ETS gegen sein ursprüngliches Ziel, Emissionen in kosteneffizienter Weise zu senken, indem die Wirtschaft dazu angespornt wird, den Energieverbrauch zu senken und in den Verbrauch von erneuerbaren Energien zu investieren. Stattdessen ist daraus eine weitere Steuer geworden.

Werke, die ihre Produktion in einer sich erholenden Wirtschaft hochfahren, werden den angefallenen Überschuss an CO2-Gutschriften benutzen, wenn Anlagen stillgelegt werden oder die Produktion während der Rezession vor kurzem gesenkt wurde. Bis 2020 werden die effizientesten Stahlwerke ungefähr 30 Prozent der von ihnen benötigten Emissionszertifikate kaufen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Zertifikate, die sie aus Brüssel erhalten, eine von der Kommission vorgegebenen Messlatte in puncto Energieeffizienz für Stahlwerke anlegen, die schlichtweg unerreichbar ist.

Zwei Reformen sind erforderlich. Erstens sollte die EU-Kommission das CO2-Zertifizierungssystem ändern, so dass unsere Industrie die Möglichkeit erhält, einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum zu leisten. Gutschriften sollten auf der Grundlage von realistischen Benchmarks erteilt werden, die die Realität in den Werken widerspiegeln.

Zweitens sind Schritte erforderlich, um die „nachhaltige Kohlereduzierung“ der Energiebranche zu fördern. Industrielle Stromverbraucher sollten nicht mehr als ihren rechtmäßigen Anteil an den Kosten der Energiewende für den Übergang von den fossilen Brennstoffen zu den erneuerbaren Technologien zahlen.

Unsere heutige Welt ist vernetzter als je zuvor. Daraus folgt, dass Beschränkungen von CO2-Emissionen sowie eine stärkere Nutzung von erneuerbaren Energien – über deren Notwendigkeit wir uns einig sind – weltweit verhandelt werden sollten. Die EU braucht ein CO2-Reduktionsziel, das auf realistischen Bewertungen basiert und mit Verpflichtungen unserer internationalen Konkurrenten übereinstimmt. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass Europas Industrien wettbewerbsfähig bleiben und ihre Wirtschaftssysteme Erfolg haben. Gleichzeitig sollten die EU und ihre weltweiten Partner einen Plan zum Umgang mit CO2-Emissionen verabschieden und ihn fair umsetzen. Sobald wie möglich.

Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst am Montag, den 20. Januar 2014, unter www.ft.com sowie in der Financial Times am Dienstag, den 21. Januar 2014.

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