His Royal Wires

Die US-Botschaft und Londons neuer „Super Sewer“: ArcelorMittal Kent Wire ist der große Drahtzieher auf dem britischen Markt – auch wenn man es nicht immer sieht

 


Die Lagerhalle in Chatham

Als Hamburger*in fühlt man sich an den Docks von Chatham direkt wohl. Fast ein bisschen wie zuhause. Als Hamburger Stahlarbeiter*in kann man sich hier noch viel wohler fühlen, denn: Vorbei am historischen Hafenmuseum, vorbei an den alten Klinkerbauten, hinter den neu angelegten Wohnsiedlungen liegt das Firmengelände von Kent Wire. Das britische Tochterunternehmen des Hamburger ArcelorMittal-Werks gehört zu den wichtigsten britischen Stahldraht-Herstellern.

Die Stahlverarbeiter aus Kent bilden damit einen wichtigen Pfeiler der ArcelorMittal-Gruppe. Als Marktführer versorgen sie schon seit 1987 – also seit 35 Jahren - den britischen Markt mit hochwertigem Stahldraht.

Dabei sind die Docks sogar noch traditionsreicher als das Unternehmen selbst. Der Hafen von Chatham kann allerdings auch auf eine deutlich längere Geschichte zurückblicken. Denn es gibt ihn schon seit etwas über 400 Jahren. Bis 1984 wurden hier Schiffe gebaut, gewartet und modernisiert, Kriegsschiffe hauptsächlich – unter anderem das erste Ironclad-Panzerschiff der britischen Marine – bis die damalige Premierministerin Margaret Thatcher beschloss, dass das Vereinigte Königreich auch ohne Kampfschiffe aus Chatham zurechtkäme. Für die Region war das ein schwerer Schlag und mehr als 8.000 Jobs gingen verloren. Dennoch: Seit damals ist Chatham ist das Epizentrum des britischen Produktionsgewerbes geworden. Heute erinnert das Gelände des Chatham Historic Dockyard an die lange Tradition des Ortes – und ist beliebte Kulisse für Film und Fernsehen. Und die Handwerker*innen der Chatham Docks können sich sogar rühmen, einen der berühmtesten Schreibtische der Welt geschaffen zu haben: den des Präsidenten der Vereinigten Staaten im Weißen Haus.

Wurden also hier früher die Kriegsschiffe der Royal Navy gerüstet, kommen heute aus den Chatham Docks die Bausteine der modernen Diplomatie – und das wortwörtlich: Denn ArcelorMittal Kent Wire lieferte unter anderem Material für die US-Botschaft in London, ganze 3.000 Tonnen Stahl für eines der sichersten Gebäude der Stadt.

Aber nicht nur an der Oberfläche Londons wirkt Kent Wire mit. Denn eines der momentan größten Projekte des Unternehmens spielt sich unter den Straßen der Stadt ab: Londons Abwassersystem ist alt. Sehr alt. Und klein. Während hier seit mehr als 150 Jahren fast alles beim Alten blieb, hat sich die Bevölkerung der Hauptstadt nach den Zahlen der Volkszählungen zwischen 1861 und heute von 3,2 Millionen auf über neun Millionen fast verdreifacht – und Schätzungen zufolge wird sie sich bis 2161 noch einmal verdoppeln. Für die viktorianischen Abwasserkanäle ist das eine Sisyphusaufgabe: Die Kanäle sind vollkommen überlastet und bei Regen fluten die Kanäle auch noch die Themse und sind damit der größte Verschmutzungsfaktor für das Flusswasser. Die Lösung: ein gigantischer Überflutungstunnel, der das Abwasser sicher in eine dafür extra aufgerüstete Kläranlage bringen soll. Im Volksmund heißt der Tunnel inzwischen schlicht ‚Super Sewer‘, Superkanal. Ab 2025 wird damit die Themse vor regenbedingter Verschmutzung bewahrt. Damit die Betonröhren mit immerhin 7,2 Metern Durchmesser stabil bleiben, brauchen sie – Stahldraht. Und der kommt natürlich aus Chatham.

Kent Wire ist eine 100-prozentige Tochterfirma des Hamburger Stahlwerkes. Tatsächlich verarbeitet Kent Wire einen Großteil des in Hamburg produzierten Walzdrahtes – das Unternehmen in Chatham zu gründen, war der effizienteste Weg, einen reibungslosen Ablauf der Lieferungen aus Deutschland zu regeln, erklärt Phil Taylor, CEO von ArcelorMittal Kent Wire. Denn Chatham liegt ausgesprochen günstig: genau dort, wo die Themse in die Nordsee mündet – mit direktem Zugang ins Herz des Vereinigten Königreiches also. Die Schiffe aus Hamburg können in Chatham direkt an den Docks in Empfang genommen werden, ohne sie lange und aufwändig von der Küste zu anderweitigen Produktionsstandorten transportieren zu müssen. Das ist nicht nur ausgesprochen praktisch, sondern vor allem umweltfreundlich. Überhaupt hat sich Phil Taylor Nachhaltigkeit in ganz großen Buchstaben auf die Fahne geschrieben: Kent Wire bezieht ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen. „Das machen wir schon seit Jahren so. Unsere Energie ist zu 100 Prozent grün, und zwar nachweisbar“, sagt der CEO. Taylor wünscht sich auch einen Anstieg grüner Produkte im Portfolio von Kent Wire. „Das ist nicht so einfach: Kunden wollen einen guten Preis und nicht zwingend das grünste Produkt – leider.“ Aber hier dreht ArcelorMittal momentan kräftig an den Stellschrauben, wovon Kent Wire natürlich profitieren wird. Am Engagement aus Kent wird es jedenfalls nicht scheitern.

Engagement ist überhaupt ein gutes Stichwort, denn davon gibt es in Chatham eine ganze Menge.

Kent Wire engagiert sich zusammen mit der benachbarten University of Greenwich auch in der Nachwuchsförderung. Denn das Unternehmen ist Teil der Spark-Initiative, die Absolvent*innen und Studierenden der Universität ein*e Mentor*in aus der Wirtschaft an die Seite stellt. Im Rahmen des Mentoring-Programms hat Kent Wire schon drei neue Mitarbeiterinnen gewonnen. Besonders auf den Neuzugang im Qualitätsmanagement ist Phil Taylor stolz. Die Mitarbeiterin ist bereits seit eineinhalb Jahren im Unternehmen – und Kent Wire finanziert gerade ihren MBA (Master of Business Administration). Alle Zeichen deuten auf eine aussichtsreiche Zukunft für das Unternehmen. „Unser Geschäft läuft momentan wirklich gut“, verrät Taylor, „wir haben mittlerweile über 200 Mitarbeitende – und konkrete Wachstumspläne. Falls Sie also zum Beispiel ein*e begabt*e Schweißer*in sind: In Kent lebt, lernt und arbeitet es sich ausgesprochen angenehm …“