Anne van Ysendyck, Vice President, Head of Government Affairs Europe and Environment bei ArcelorMittal
1. Erzählen Sie uns etwas über Ihren persönlichen Hintergrund.
Ich komme aus einer
internationalen Familie. Mein Vater stammt aus Belgien, geboren und aufgewachsen bin ich in Bremen. Wir sind immer viel gereist.
Als Jugendliche bin ich nach Frankreich gegangen, habe dort französisches Abitur gemacht und in Straßburg studiert.
Mein erster Job war anschließend in Brüssel bei der Europäischen Kommission.
2. Was war Ihr Traumberuf, als Sie klein waren?
Da war schon immer die Vorstellung, international
zu arbeiten, ich hatte keinen bestimmten Traumberuf. Ich habe politische Wissenschaften und Recht studiert. Das hat mich von
der EU-Kommission unter anderem zu einer Anwaltskanzlei geführt und dann auch zu ArcelorMittal.
3. Sie haben eine beeindruckende Karriere hingelegt – wo gab es Herausforderungen, weil Sie eine Frau sind?
Ich erinnere mich an eine Stelle in einer Kanzlei, bevor ich meine Anwaltszulassung hatte, wo es ungewöhnlich
war, dass ich dort in der Position tätig war – und das führte dann zu allen möglichen Gerüchten,
wie und warum es sein konnte, dass ich als Frau dort so arbeiten konnte. Auf Dauer zeigt sich natürlich, welchen Mehrwert
jemand durch die Arbeit bringt, aber häufig war ich die einzige Frau unter älteren Männern, und da gab es gelegentlich
seltsame Situationen – zum Beispiel die Erwartung, dass ich den Kaffee oder die Taxis besorge, obwohl jüngere unerfahrenere
männliche Kollegen auch im Raume waren – es war oft einfach untypisch, dass ich als Frau dort arbeitete.
4. Welche Eigenschaften haben Ihnen auf Ihrem Weg geholfen? Von welchen profitieren Sie in Ihrem Alltag? Was ist
der entscheidende Faktor, der Ihnen zu Ihrem Erfolg verholfen hat?
Ich hatte keinen strategischen Plan für
mein Berufsleben. Meine Überzeugung ist, dass man Chancen wahrnehmen muss, wenn sie sich bieten, dass man aktiv ist und
nicht wartet, dass etwas passiert. Dafür habe ich immer wieder Risiken auf mich genommen, auch neue Stellen anzutreten.
Als ich die Möglichkeit hatte beim Internationalen Olympischen Komitee zu arbeiten, habe ich es getan – und als
mir klar wurde, dass es nichts für mich war, habe ich mich entschieden, wieder zu gehen. So etwas erfordert Mut, ein
wichtiger Faktor bei vielen Entscheidungen.
5. Wie unterstützt ArcelorMittal weibliche Führungspersönlichkeiten?
Bei ArcelorMittal
haben wir einen Rat für Vielfalt und Inklusion gegründet, bei dem ich auch mitarbeite. Dort sammeln wir derzeit
Daten, um besser zu verstehen, welche Herausforderungen da sind, warum weniger Frauen in Führungspositionen sind –
und wie wir das ändern können. Zum Beispiel ist es im Personalwesen wichtig, bei Nachfolgeplanung darauf zu achten,
dass Frauen berücksichtigt werden – auch wenn am Ende die Qualifikation entscheidend ist.
6. Was muss Ihrer Meinung nach noch für die Gleichstellung der Geschlechter getan werden?
Wir
haben festgestellt, dass teilweise noch viel unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen existieren. Zum Beispiel, wenn Männer
sagen, was Frauen tun können oder nicht, weil sie sich ja noch um die Kinder kümmern müssten. Es ist oft noch
in den Köpfen verankert, dass das Frauensache ist. Genauso ist es ungewohnt, wenn Männer nicht dauerhaft verfügbar
sind, weil sie die Kinder abholen müssen. Das gehen wir an, hier muss die Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung
besser werden.
"Frauen bringen andere Perspektiven ein – im beruflichen Alltag und bei strategischen Entscheidungen."
7. Wie kann man diese Ziele erreichen?
Es muss am Ende normal sein, dass Frauen wie auch Männer
flexibel arbeiten können, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Sicher ist das entsprechend der lokalen Denkweise
unterschiedlich in den jeweiligen Ländern, in denen wir arbeiten. Dafür braucht es einen übergreifenden Kulturwandel.
Innerhalb unseres Konzerns können wir einen solchen Kulturwandel vorantreiben, indem wir darüber reden, wie es sein
kann, dazu kommunizieren und es vorleben.
8. Warum glauben Sie, dass es für Unternehmen von großem Vorteil wäre, mehr Frauen an der Spitze
zu haben?
Frauen bringen andere Perspektiven ein – im beruflichen Alltag und bei strategischen Entscheidungen.
Damit stärken wir die Vielfalt, was uns insgesamt auch als Unternehmen stärker macht. Bei solchen Wandlungsprozessen
geht es nicht nur um das Verhältnis von Männern zu Frauen, sondern auch darum, altersunabhängig Entscheidungen
für Aufgaben und Positionen zu treffen.
9. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben? Wie unterscheidet er sich von dem Ihrer männlichen
Kollegen?
Mir ist wichtig, dass man miteinander spricht. Ich kann nicht immer wissen, welche persönliche
Situation meine Kollegen gerade haben. Aber wenn wir drüber sprechen, können wir gemeinsam darauf Rücksicht
nehmen, wo es geht – also flexibel sein. Außerdem finde ich eine angemessene Work-Life-Balance wichtig, auch wenn
ich das selbst nicht immer so hinbekomme.
"Mein Rat an die Frauen: Habt keine Angst vor neuen Schritten, seid mutig – und geht voran!"
10. Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die am Anfang ihres Weges stehen?
Man lernt
immer etwas Neues, egal was man macht. Das Leben ist kurz, daher sollte man das Beste daraus machen und so viel wie möglich
mitnehmen, um zu lernen. Männer treten oft forscher auf, wenn es um Karriere geht, Frauen sind meist zurückhaltender
– das muss nicht sein. Mein Rat an die Frauen: Habt keine Angst vor neuen Schritten, seid mutig – und geht voran!